„Sie haben Taschen!“

Wenn Sie diesen Satz beim Zahnarzt oder in der professionellen Zahnreinigung schon einmal gehört haben und Ihr erster Gedanke Gucci, Prada und Co. galt: Herzlich Willkommen, schön, dass Sie da sind. Sie sind hier richtig. Um auch heute wieder über Mundgesundheit aufzuklären, lesen Sie in diesem Blogbeitrag, was es mit der Parodontitis auf sich hat.
Kleiner Disclaimer vorneweg: Das Thema der Parodontitis ist sehr komplex, weshalb es in diesem Blogbeitrag nur in seinen Grundzügen besprochen wird. Hier geht es darum, wie eine Parodontitis entsteht, was genau eine Parodontitis überhaupt ist und was wir tun können, um sie in Schach zu halten.
Frage Nummer eins lautet:
Wo kommen auf einmal diese Taschen her?

Beginn der Taschenbildung
Wenn man es ganz genau nimmt, hat eigentlich jeder von uns „Taschen“. Je nach Definition ist eine Tasche zuerst einfach nur der Spalt zwischen Zahn und Zahnfleisch. In einem gesunden Mund ist diese Tasche nicht sonderlich tief. Wir können sie mit Zahnbürste, Zahnzwischenraumbürstchen und Zahnseide reinigen und gut ist.
Manchmal kann es jedoch passieren, dass diese Taschen tiefer werden. In der Regel passiert das, indem zuerst einmal das Zahnfleisch anschwillt. Das kann durch eine Entzündung kommen, weil wir den Bereich in den letzten Tagen nicht so gut gepflegt haben und sich Zahnbelag ansammelt. Manche Leute bekommen Zahnfleischprobleme, wenn sie erkältet sind. Auch diverse Medikamente lassen das Zahnfleisch anschwellen.
Es bildet sich hier also eine Tasche, die so tief ist, dass wir sie nicht mehr eigenständig reinigen können. Wenn sich dann Essensreste und Zahnbelag in diese Tasche verirren, die wir nicht mehr herausbekommen, ist das der perfekte Nährboden für noch mehr Bakterien. Und noch mehr Entzündung. Und noch mehr Schwellung. Und es wird noch schwieriger zu putzen.
Ein Teufelskreis, ja, aber einer, der durch eine Tiefenreinigung beim Zahnarzt oder in der professionellen Zahnreinigung gebrochen werden kann. Man nimmt den Bakterien ihr Futter weg, die Schwellung geht zurück. Voilà, die Tasche bildet sich ganz von allein zurück.
Was, wenn die Tasche bei uns bleiben möchte?

Beginn des Knochenabbaus
Es gibt den Fall, dass über einen sehr langen Zeitraum Zahnbelag vorliegt und die Bakterien es sich richtig gemütlich machen können. Sie bilden ein saures Milieu, weil sie sich darin am wohlsten fühlen. Gut für die Bakterien, schlecht für unseren Kieferknochen.
Durch die Entzündung wird Schicht für Schicht vom Knochen abgebaut, der die Zahnwurzel umgibt. Die Entzündung im Zahnfleisch sorgt dafür, dass das Zahnfleisch erstmal bleibt, wo es ist – es ist dick und aufgeplustert. Der Boden der Tasche aber sinkt immer weiter nach unten ab, sie wird immer tiefer. Wir geraten in einen neuen Teufelskreis, der diesmal nicht mehr so einfach durchbrochen werden kann.
Sobald der Kieferknochen geschädigt wird, sprechen wir von einer Parodontitis. Viele Menschen denken bei diesem Wort direkt an Zahnfleischbluten, weil viele Hersteller von Zahnpasta und Mundwasser damit werben. Leider ist das nur die Spitze des Eisbergs (und z.B. bei Patienten, die rauchen, blutet in der Regel gar nichts).
Wir sprechen von einer Schädigung nicht nur des Zahnfleischs, sondern des ganzen Parodontiums. Das bezeichnet den kompletten Zahnhalteapparat, also neben dem Zahnfleisch auch die Fasern, die den Zahn im Knochen verankern, die Wurzelhaut auf der Zahnwurzel und den Kieferknochen. All das gerät bei der Parodontitis in Mitleidenschaft.
Die Folge: freiliegende Zahnhälse, „lange“ Zähne, lockere Zähne. Sie stehen nicht mehr fest im Knochen und können irgendwann verloren gehen. Mann kann es sich wie folgt vorstellen: Wenn sich der Kieferknochen um die Zahnwurzel zurückbildet, fällt der Zahn irgendwann um, ganz wie ein Baum, der nach und nach ausgebuddelt wird.
Und was war nochmal Parodontose…?
Das Wort ‚Parodontose‘ schwirrt vielen von uns noch im Kopf herum. Sogar viele Zahnärzte benutzen das Wort heute noch, um „Patienten nicht zu verwirren“. Für die Sprachwissenschaftler unter uns: Die Endung ‚-ose‘ beschreibt in der Medizin eine nicht-entzündliche Erkrankung. Sie kennen das von Arthrose, also dem Verschleiß der Gelenke. Im Gegensatz dazu beschreibt die Endung ‚-itis‘ eine entzündliche Erkrankung. Darum wurde irgendwann entschieden, dass das Wort ‚Parodontose‘ durch ‚Parodontitis‘ ersetzt werden soll, weil mit diesem Wort das Krankheitsbild viel besser beschrieben wird.
Kurzum: Parodontose und Parodontitis sind zwei Namen für dasselbe Kind. Es handelt sich um dieselbe Erkrankung.
Wie heilen wir jetzt also die Parodontitis?
Die traurige Wahrheit ist – gar nicht. Eine Parodontitis ist eine chronische Erkrankung, das heißt, die Schäden der Erkrankung können nie rückgängig gemacht werden. Der Kieferknochen wird nie wieder nach oben wachsen. Das Zahnfleisch, das abschwillt und die Zahnhälse freigibt, kommt nicht mehr hoch. Was einmal verloren gegangen ist, kommt nicht wieder.
Durch eine sehr gute Mundhygiene und regelmäßige Reinigungen kann die Parodontitis aber eingedämmt werden. Was wir wollen, ist, dass der Kieferknochen sich stabilisiert und nicht weiter abgebaut wird. In den meisten Fällen klappt das sehr gut. Sogar lockere Zähne können durch eine Parodontitis-Therapie wieder fest werden.
Die Therapie setzt auf verschiedene Säulen:
- Aufklärung des Patienten, um seine Mitarbeit sicherzustellen. Die tägliche Mundhygiene muss stimmen, will man die Entzündungen loswerden.
- Zahnärztliche Reinigungen, also ein Säubern der Taschen bis in die Tiefe. In der Regel wird das Zahnfleisch dazu betäubt.
- Nachsorge, Nachsorge, Nachsorge. Ein Leben lang.
Das Wort zum Schluss
Patientinnen und Patienten über die Chronizität der Erkrankung aufzuklären, ist mir ein besonderes Anliegen. Denn: Wer einmal an einer Parodontitis erkrankt ist, wird immer dreimal besser die Zähne putzen müssen als andere. Jede Parodontitis-Patientin wird öfters zur Reinigung kommen müssen als die Nachbarin, die keine Parodontitis hat, und so weiter. Das kann sehr ungerecht sein und frustrieren. Manch einer denkt vielleicht: „Das sind doch nur Zähne. Wenn die mir ausfallen, gibt´s halt die Dritten! Dann bin ich das Elend los“.
Aber so einfach ist es leider nicht.
Punkt A: Nichts, wirklich gar nichts ist so gut wie der eigene Zahn. Sogar dann, wenn er schon ein wenig in Mitleidenschaft gezogen ist.
Und Punkt B: Jede Entzündungsquelle im Körper ist schlecht für uns, auch die, die sich in kleinen Taschen im Mund versteckt.
Es gibt viele Grunderkrankungen, die durch eine Parodontitis verstärkt werden können, Diabetes, Herzerkrankungen und viele mehr. Um auf den kleinen Disclaimer vom Anfang zurückzukommen: Die Wechselwirkungen der Parodontitis sind mannigfaltig.
Wenn Sie sich bis hierhin durch den Blogbeitrag durchgeschlagen haben, langt´s Ihnen wahrscheinlich für heute mit Taschen und Zähnen und Mündern. Um dem Thema aber die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdient, wird es zu einem späteren Zeitpunkt definitiv noch einmal um Parodontitis gehen, und dann im Zusammenhang mit Diabetes und Herz und Alzheimer und Rauchen und Schwangerschaft und Genetik und Schlaganfall und so weiter.
Keine Sorge, das war’s jetzt wirklich. Vielen Dank fürs Durchhalten und Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal.
Machen Sie’s gut und bleiben Sie gesund,
Dr. Marianne Skroch