Krebsvorsorge beim Zahnarzt

Wer in unserer Zahnarztpraxis schon einmal die normale Routineuntersuchung absolviert hat, kennt sie bereits: die Mundschleimhautkontrolle. Was ist das überhaupt, warum machen wir das? Und die Frage, die wir so oft gestellt bekommen: Ist das neu?

Wahrscheinlich jeder von uns hatte schon einmal irgendeine Art von Früherkennungsuntersuchung, um Krebs festzustellen. Das kann beim Hausarzt, Frauenarzt, Hautarzt, Urologen oder HNO gewesen sein. Wir kennen Hautscreenings, Blutbilder, Magen- und Darmspiegelungen, Ultraschall und vieles mehr. Unsere Erfahrung ist: Wenn wir über die Krebsvorsorge beim Zahnarzt sprechen, ernten wir oft erstaunte Mienen. Und das muss sich ändern.

Was ist Mundkrebs überhaupt?

Mundkrebs ist keine besonders geläufige Erkrankung, dabei erkranken in Deutschland jährlich 9.350 Männer und 3.740 Frauen daran (siehe https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/andere-krebsarten/kopf-hals-tumoren/definition-und-haeufigkeit.html). Der Einfachheit halber ignorieren wir hier erst einmal, um welche Sorte Krebs es geht, ob der Auslöser in der Schleimhaut, einer Speicheldrüse, im Kieferknochen oder ganz woanders liegt. Alles, was im Mundbereich stattfindet, nennen wir schlicht und einfach ‚Mundkrebs‘.

Das Gemeine an den meisten Mundkrebs-Sorten ist: Er tut nicht weh. Oft genug wird er deshalb viel zu spät festgestellt, weil viele einfach nicht regelmäßig zum Zahnarzt gehen. In den meisten Fällen ist Mundkrebs auch nicht direkt tödlich, er streut selten und wächst auch sehr langsam. Trotzdem ist er ein ernstzunehmendes Problem, denn er kann streuen. Vor allem aber liegt er in einer Region, die für uns Menschen ganz besonders wichtig ist.

Wir brauchen einen gesunden Mund, und das jeden Tag. Wir essen, wir schmecken, wir sprechen. All das bedeutet Lebensqualität. Unser Mund ermöglicht es uns, mit unseren Liebsten zu lachen und in einer Gemeinschaft zu leben, er lässt uns genießen, er lässt uns sagen, was uns wichtig ist. Unsere Kiefer und Lippen sind außerdem, wie könnte es anders sein, Teil unseres Gesichts und unseres Aussehens. Und das wiederum ist Teil unserer Identität.

Ich poche so auf diese Tatsachen, weil die wichtigste Therapie beim Mundkrebs die Resektion ist. Auf deutsch: Der Tumor wird chirurgisch entfernt, er wird weggeschnitten, und um zu verhindern, dass doch noch Krebszellen übrigbleiben, muss man einen zusätzlichen Sicherheitsabstand annehmen. Dieser Sicherheitsabstand gilt dreidimensional in jede Richtung. Auch ein „kleiner“ Tumor am Unterkiefer kann also bedeuten, dass nach der Operation ein Stück Unterkieferknochen fehlt, vielleicht ein Teil der Wange, vielleicht ein Teil der Zunge. Sie sehen, worauf ich hinauswill.

Heute sind wir in Deutschland sehr weit, was chirurgische Rekonstruktionen betrifft. Man kann Knochen- und Hauttransplantate machen und zum großen Teil Ästhetik und Funktion des Patienten wiederherstellen. Aber wenn man ganz ehrlich ist: Kein Ersatz ist so gut wie das Original. Viele Krebspatienten haben Schwierigkeiten, zu essen, zu sprechen, oder wollen nicht mehr in den Spiegel sehen. Sie verlieren ihre Identität, ihre Lebensqualität.

Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass es „schlimmere“ Krebssorten gibt als das meiste, was im Mund vorkommen kann, nämlich tödlichere, aggressivere Sorten. Aber Mundkrebs ist uns am nächsten, denn er sitzt uns mitten im Gesicht.

Wie stellen wir Mundkrebs fest?

Eigentlich machen wir nichts anders als ein Hautarzt, denn auch Schleimhaut ist Haut. Bei der Mundkrebsvorsorge werden alle Flächen im Mund gründlich auf Auffälligkeiten untersucht – die Lippen, die Wangeninnenseiten, der Gaumen, der Rachenraum, die Zunge von oben, rechts, links, und der Bereich unterhalb der Zunge. Nicht selten fallen dabei Veränderungen auf, die überhaupt nicht schlimm sind, die wir aber zur Beobachtung aufschreiben und/oder fotografieren. Meist sind das Knochenvorsprünge im Unterkiefer, die einfach nicht jeder hat, oder Hornhaut, wo man sich regelmäßig mal in die Backe beißt, vielleicht auch Fibrome, also Knötchen aus Bindegewebe, die der Patient vielleicht schon seit zig Jahren hat. Besonders viele Veränderungen beobachten wir oft bei Rauchern. Wir täuschen uns, wenn wir beim Krebsrisiko eines Rauchers immer nur an die Lunge denken.

Wenn uns etwas verdächtig vorkommt, werden Proben entnommen, die mikroskopisch untersucht werden. Der Pathologe, also der Kollege, der am Mikroskop sitzt, lässt uns dann wissen, ob etwas vorliegt und wenn ja, was, und wir klären die Patienten über das weitere Vorgehen auf.

Was nicht direkt Teil der Mundkrebsvorsorge ist, aber bei jedem Röntgenbild stattfindet: Wir achten auf Strukturen in den Kieferknochen, die seltsam erscheinen. Auch dort kann sich etwas verstecken, von außen gar nicht zu erkennen, das abgeklärt werden muss.

… ist das neu?

Wann immer wir das gefragt werden, müssen wir keine Millisekunde mit der Antwort zögern:

Nein.

Die Mundschleimhautkontrolle war schon in der alten Approbationsordnung der deutschen Zahnärzte von 1955 verankert. Sie ist ein Teil der ganz normalen Routineuntersuchung, zu der gesetzlich versicherte Patienten ein- bis zweimal jährlich kommen, um ihren Stempel fürs Bonusheft zu sammeln.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, warum um alles in der Welt Sie davon noch nie etwas gehört haben. Der Hintergrund ist vielschichtig und eine genaue Antwort kann wohl keiner geben. Ein entscheidender Faktor ist aber, dass es in unserem System erschwert werden kann, so gewissenhaft zu arbeiten, wie wir das eigentlich alle wollen. Das liegt am demografischen Wandel, am wirtschaftlichen Druck, weil das Gesundheitssystem längst mal wieder reformiert werden müsste, am erhöhten Patientenaufkommen, an zu wenig Personal, am immer größer werdenden bürokratischen Aufwand und der immer geringer werdenden Zeit, die am Ende noch für den Patienten bleibt. Und wahrscheinlich habe ich noch mindestens acht gute Gründe vergessen.

Unser Herzensanliegen ist es deshalb, Mundkrebs mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Die Erkrankung darf nicht länger ein Tabu-Thema sein und die Mundkrebsvorsorge nicht stiefmütterlich vom Tisch gekehrt werden. Deshalb danke ich Ihnen für das Lesen dieses Artikels. Nun sind auch Sie ein Teil unserer Kampagne gegen Mundkrebs geworden.

Bleiben Sie gesund,
Dr. Marianne Skroch